Bedenken über Einhaltung der Abfallhierarchie im Entwurf für Kreislaufwirtschaftsgesetz berechtigt?

europaticker:

EU-Kommission hegt Zweifel an deutschem Abfallgesetz

Bedenken über die richtige Einhaltung der Abfallhierarchie im deutschen Entwurf für das Kreislaufwirtschaftsgesetz hat die EU-Kommission geäußert. In einer Antwort auf die schriftliche Frage der Europaparlamentarierin Rebecca Harms (Grüne, Deutschland) schreibt EU-Umweltkommissar Janez Potocnik von "gewissen Zeifeln", dass geplante Abweichungen von der EU-Abfallrahmenrichtlinie noch dem Lebenszyklusansatz entsprechen. Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf eine sogenannte Heizwertregel in § 8 Absatz 3 beschrieben.

Demnach sei bei Abfällen mit einem Heizwert von über 11.000 Kilojoule pro Kilogramm eine energetische Verwertung gleichwertig zu Recycling. Die EU-Kommission möchte wissen, ob die deutsche Bundesregierung hier alle Umweltaspekte miteinbezogen hat, da sie eine generelle Annahme für alle Abfallsorten für nicht gerechtfertigt hält. Die EU-Kommission fürchtet demzufolge eine mögliche Abschwächung der vorgegebenen Abfallhierarchie mit der Hauptpriorität Müllvermeidung, Wiederverwertung und Recycling vor Verbrennung und Beseitigung und "lädt die deutschen Behörden ein, den Artikel 8 ein Revision zu unterziehen".

Antwort von Herrn Potočnik im Namen der Kommission

Mit Artikel 4 der Richtlinie 2008/98/EG wird eine fünfstufige Abfallhierarchie festgelegt, die den Rechtsvorschriften und politischen Maßnahmen im Bereich der Abfallvermeidung und -bewirtschaftung als Prioritätenfolge zugrunde liegt. In dieser Prioritätenfolge gilt die Vermeidung als die wünschenswerteste Option, gefolgt von der Vorbereitung zur Wiederverwendung, dem Recycling, sonstiger Wiederverwertung (z. B. energetische Verwertung) und der Beseitigung (z. B. auf Deponien) als letzte Möglichkeit. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 2008/98/EG fördern die Mitgliedstaaten bei Anwendung der Abfallhierarchie diejenigen Optionen, die unter dem Aspekt des Umweltschutzes insgesamt das beste Ergebnis erbringen. Dies kann erfordern, dass bestimmte Abfallströme von der Abfallhierarchie abweichen, sofern dies durch Lebenszyklusdenken hinsichtlich der gesamten Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung dieser Abfälle gerechtfertigt ist.

Die deutschen Behörden haben das Gesetz zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts im Rahmen der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft übermittelt(1). Die Kommission hat die Gelegenheit genutzt, den notifizierten deutschen Gesetzesentwurf im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfäll(2) zu prüfen, und hat sich hierzu am 29. Juni 2011 geäußert.

Wie die Frau Abgeordnete richtig festgestellt hat, enthält § 8 Absatz 3 des notifizierten deutschen Entwurfs zur Umsetzung der Richtlinie 2008/98/EG über Abfälle (2) eine allgemeine Annahme, wonach die stoffliche und die energetische Verwertung in der Abfallhierarchie gleichrangig sind, wenn der Heizwert des Abfalls mindestens 11 000 Kilojoule pro Kilogramm beträgt. Diese Abweichung von der (in § 6 des Gesetzes festgelegten) fünfstufigen Abfallhierarchie ist nicht auf einen bestimmten Abfallstrom begrenzt.

Die Kommission befürchtet, dass der Ansatz gemäß § 8 des notifizierten Gesetzesentwurfs das Konzept der Prioritätenfolge in der Abfallhierarchie gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie nicht richtig widerspiegelt.

Die Kommission bezweifelt, dass die vorgesehene Abweichung durch Lebenszyklusdenken gerechtfertigt werden könnte. Sie erkennt zwar an, dass das Recycling von Abfall mit einem niedrigeren Heizwert zu bevorzugen sein mag, weil dieser Abfall keinen ausreichenden Heizwert für eine effiziente Energieerzeugung hat, fragt sich aber, ob die deutschen Behörden alle Umweltaspekte berücksichtigt haben, die diese Abweichung auf Basis der Lebenszyklusmethode rechtfertigen würden. Nach Auffassung der Kommission kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass das Recycling von Abfall mit mehr als 11 000 Kilojoule pro Kilogramm weniger oder gleich günstig wäre wie die energetische Verwertung.

Sie ist daher der Ansicht, dass der notifizierte Gesetzesentwurf zu einer Abschwächung der Priorität für die Vorbereitung zur Wiederverwendung und für das Recycling führen könnte, was nicht mit der Abfallhierarchie und den Zielen der Richtlinie 20008/98/EG im Einklang stünde. Deshalb hat sie die deutschen Behörden aufgefordert, § 8 des notifizierten Gesetzesentwurfs so zu ändern, dass er das in der Richtlinie 2008/98/EG vorgesehene Konzept der Abfallhierarchie besser widerspiegelt.

Meinung unserer Leser: Dem Kommissar kann man nur viel Vergnügen wünschen, wenn ausgerechnet das wirtschaftsstärkste (und rohstoffarme) Mitglied der EU sich angesichts von Überkapazitäten klassischer Verbrennung auf den Weg macht, diese Neandertaler-Technologie ab einem bestimmten Brennwert des inputs als Verwertung zu deklarieren.
  Autor: Karl  Ihmels


Quellen:

(1) Weitere Informationen zu diesem Informationssystem sind auf folgender Internetseite der Kommission zu finden: http://ec.europa.eu/enterprise/tris/index_de.htm (2) ABl. L 312 vom 22.11.2008, S. 3.

(2) ABl. L 312 vom 22.11.2008, S. 3.


Anfrage zur schriftlichen Beantwortung an die Kommission Artikel 117 der Geschäftsordnung Rebecca Harms (Verts/ALE)


Betrifft: Deutscher Gesetzentwurf zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts

Am 12. Dezember 2008 trat die neue europäische Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG in Kraft. Die Mitgliedstaaten mussten bis zum 12. Dezember 2010 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie ab dem 12. Dezember 2010 nachzukommen.

Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland hat am 30. März 2011 einen Gesetzentwurf zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts beschlossen. Dieser Gesetzentwurf wurde am 28. März 2011 gemäß der Richtlinie 98/34/EG der Kommission notifiziert.

Artikel 4 der Abfallrahmenrichtlinie legt eine rechtlich bindende Hierarchie im Abfallwirtschaftsbereich nieder. In Übereinstimmung mit dem Erwägungsgrund 7 stellt die Prioritätenfolge der Abfallhierarchie somit eine Grundregel dar, deren Einhaltung im Normalfall das umweltpolitisch beste Ergebnis erzielt. Nach Artikel 4 Absatz 2 kann hiervon im Fall „bestimmter Abfallströme“ abgewichen werden, „sofern dies durch Lebenszyklusdenken hinsichtlich der gesamten Auswirkungen der Erzeugung und Bewirtschaftung dieser Abfälle gerechtfertigt ist“.

§ 8 Absatz 3 des Entwurfs sieht die energetische Verwertung gegebenenfalls als einer stofflichen Verwertung gleichrangig an, wenn der Heizwert des einzelnen Abfalls, ohne Vermischung mit anderen Stoffen, mindestens 11 000 Kilojoule pro Kilogramm beträgt.

Somit wird hier eine Regel für alle möglichen Abfälle geschaffen, statt nur für bestimmte, und keinerlei Rechtfertigung für das Abweichen durch Lebenszyklusdenken gegeben.

1. Teilt die Kommission die Auffassung, dass die Heizwertregel in § 8 Absatz 3 des deutschen Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts der Richtlinie 2008/98/EG, insbesondere ihrem Artikel 4, widerspricht?

2. Wenn ja: Welche Schritte wird die Kommission unternehmen, um sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG korrekt umsetzt?

erschienen am: 2011-08-30 im europaticker

2011