Alternative Mülltrennungsversuche mit kostspieligen Folgen

Lobbyisten der Müllofenbetreiber wollen Trennsystemen den Garaus bereiten

Nach einer aktuellen Umfrage empfinden 90 Prozent der rund 2200 beteiligten Haushalte die neue Abfalltrennung in nass und trocken als Erleichterung, lässt der Kasseler Eigenbetrieb gerne verkünden, wenn es um den Pilotversuch NTT geht. In einem Stadtteil von Kassel wird seit einem Jahr ein völlig neues Müllsammelsystem mit dem Kürzel "NTT" erprobt: NTT steht für "nasse und trockene Tonne". Schmackhaft gemacht wurde der Modellversuch mit drei hintereinander erfolgten Gebührensenkungen. Doch jetzt kommt die bittere Wahrheit ans Licht. Und die heißt: 40 % Gebührenerhöhung.

„Im Februar 2009 startete das Büro Lindauer Qualität und Marktforschung eine Befragung. Demnach wird das Projekt von den Teilnehmern sehr gut angenommen und die Bürger sind mit dem neuen System sehr zufrieden. Am meisten gefällt den Befragten die Bequemlichkeit. 85 % der Befragten würden das System, so wie es jetzt ist, beibehalten wollen. Selbst wenn das System mit höheren Gebühren verbunden wäre, würden immer noch knapp die Hälfte der Befragten das System beibehalten wollen“, ließen die Kasseler Stadtreiniger Mitte Mai schon einmal vorsorglich in einer Presseaussendung verlauten.

Gestern kam nun heraus, der städtische Eigenbetrieb weist für 2010 ein Riesenloch auf. Die Folge: Weil Gebührenhaushalte kostendeckend sein müssen, müssen die Müllgebühren deutlich angehoben werden. Insider sprechen von bis zu vierzig Prozent. Diese Steigerung wäre schon längst fällig gewesen. "Schon in diesem Jahr war abzusehen, dass der Haushalt der stadteigenen Firma ein großes Loch in 2010 aufweisen wird", war im Umfeld der Stadtreiniger zu hören. "Trotzdem wurden die Gebühren noch einmal um zwölf Prozent gesenkt. Über die Kosten für den "Modelversuch NTT" schweigen die Verantwortlichen sich beharrlich aus. An der Kostenschraube wollen sie drehen, indem die Tonnen nur noch 14-tägig geleert werden sollen.

“Weg mit der Vieltonnerei bei der Müllversorgung" ­ das hat sich auch die Bad Kreuznacher FDP vor der Stadtratswahl in ihr Programm geschrieben, und daran hält sie in den Koalitionsverhandlungen fest, die in dieser Woche wahrscheinlich in ihre entscheidende Phase gehen. Stadtverbandsvorsitzender Jürgen Eitel bekräftigt, dieser Punkt sei für die Liberalen von entscheidender Bedeutung in den Koalitionsverhandlungen.

Die FDP stützt sich bei ihrer Forderung auf neue technische Entwicklungen, die es ermöglichen, den Müll maschinell effizienter zu sortieren, als das die oft überforderten oder einfach nur genervten Bürger können, heißt es plakativ. Dass die Stadt gar nicht zuständig ist, sondern der Kreis, stört indes die "liberalen Müllexperten" wenig. Die 23 jährige FDP-Stadtratskandidatin und Umweltstudentin Ann-Kathrin Friedrich liefert die wissenschaftlichen Hintergründe. Derzeit gehörten schon 50 Prozent aller Inhalte der Restmülltonnen in die Gelbe Tonne ­und umgekehrt, so ihr studentisches Resümee. Und von Maschinen weiß sie auch zu berichten, die besser Müll sortieren können als die Bürger.

Widerstände kämen natürlich einerseits von den meist mittelständischen Sortierbetrieben, die neue Anlagen kaufen müssten, und von der im Jahre 1991 eingerichteten DSD sowie den inzwischen acht weiteren Systemanbieter, die quasi das Monopol auf Verpackungsabfälle im Gelben Sack haben und deren Entsorgung über Lizenzgebühren der Produkthersteller finanziert wird, wie es die EU-Verordnung vorschreibt.

Einfacher wäre die Verminderung um eine Tonne durch das Einführen der so genannten Wertstofftonne, kämpft die liberale Abfallexpertin für die Kommunalisierung der Verpackungsverordnung unisono mit den kommunalen Stadtreinigern für mehr staatliches Unternehmertum. In diese Tonne kämen alle Produkte aus dem Gelben Sack (also mit dem Grünen Punkt) sowie alle Kunststoffe, Pappe, Papier, kleine Elektrogeräte sowie kleine Metallteile. Statt schwarzer Restmüll- und Gelber Tonne soll es also nur noch die besagte Wertstofftonne geben. Dieses System würde in Berlin bereits erfolgreich betrieben, berichtet Friedrich. Dort nennt sich das System "Gelbe Tonne plus".

In Kassel ist man noch einen Schritt weiter gegangen. Dort hat man das Angebot der Systembetreiber zur Einführung der "Gelben Tonne plus" strikt abgelehnt und eine Nass- und eine Trockentonne eingeführt. Dieses System sei für die Verwertung der Abfälle am effizientesten, meint die liberale Umweltstudentin und kann sich des Beifalls der Müllverbrenner sicher sein. Die nassen Abfälle, also Biomüll, Hygieneartikel, Windeln, Essensreste und nicht sortierbarer Restabfall können thermisch verwertet werden. Der trockene Müll besteht aus allem anderen: Holz, Metall, Plastik, ­alles wird recycelt oder mit Energiegewinn verbrannt. Die für den Bürger schönste Variante, nämlich nur eine Tonne, wäre laut Ann Kathrin Friedrich technisch auch möglich. Die neuesten Müllsortieranlagen mittels Infrarottechnik seien sogar in der Lage, Kunststoff-Abfälle nach Farbe zu trennen.

Kunststoff-Abfälle nach Farbe zu trennen, sei tatsächlich kein Problem, bestätigt auch Udo Deppenmeier, der Betriebsleiter der LBR EBS GmbH in Braunsbedra, die bereits seit September 2007 eine der modernsten Abfallsortieranlagen im Volllastbetrieb betreibt. Dort werden die Abfallprodukte aus Sortieranlagen noch einmal behandelt, so dass aus den Sortierresten erneut Wertstoffe mit einer Quote von ca. 30 – 35 % zusätzlich gewonnen werden können. Weniger als zehn dieser Anlagen seien europaweit im Einsatz, berichtet Firmenchef Dieter Bufé. Zu den Kunden der LBR EBS GmbH zählen nahezu alle Systemanbieter für Verkaufsverpackungen, von ALBA über die DKR, als Tochter des Grünen Punktes, bis hin zu den Weltunternehmen Sita und Veolia.

Feuchtigkeit in den Wertstoffen sei aber ein echtes Problem, weiß Anlagenfahrer Matthias Meyer zu berichten. Zum Beweis zeigt er die Quadratzentimeter großen Schnipsel vor, die zusammenkleben und nicht mehr sortiert werden können. Von den erneuten Versuchen mit den gemischten Tonnen hält er nichts. Das sei eine Technologie wie vor zwanzig Jahren. „Alles rein in die Tonne und weg in den Ofen“.

Er vermutet, da stecken knallharte wirtschaftliche Interessen hinter. Mit seiner Meinung steht er nicht alleine da. In interessierten Kreisen wird schon lange diskutiert, wie man dem Sortierweltmeister Deutschland die „Unsitte des Sortierens“ endlich wieder austreiben kann. Die Müllverbrennungsbranche hat sich gründlich verkalkuliert und sucht verzweifelt nach Müll. Da stört der vom früheren Umweltminister Klaus Töpfer und seiner Nachfolgerin, der jetzigen Bundeskanzlerin, Angela Merkel (beide CDU), kreierte Recyclinggedanke mächtig. Kapazitäten die Wertstoffe zu verbrennen gibt es inzwischen ausreichend, soviel dass das Angebot die einst kalkulierten Preise nahezu halbiert hat.

Die Tendenz lässt auch Betriebsleiter Deppenmeier erschauern. Er verweist auf die von den Fachverbänden aufgezeigten Szenarien, nach denen nach der Bundestagswahl das bewährte Duale System wieder einmal in Frage gestellt werden soll, frei nach dem Adenauer Zitat: „Was stört mich mein Geschwätz von gestern.“ Die Lobbyisten der Müllverbrenner stehen mit deren Überkapazitäten schon in den Startlöchern. Und auch die neuen noch im Bau befindlichen Müllverbrennungsanlagen brauchen mächtig Futter. In Bernburg (Sachsen-Anhalt) hat Umweltministerin Petra Wernicke (CDU) jüngst den Grundstein für eine Verbrennungsanlage gelegt, die die Kapazität des gesamten Hausmülls des Landes gebrauchen könnte.


„Steigende Energiepreise sind vielerorts der Grund dafür, in Müllverbrennungsanlagen zu investieren, da diese derzeit eine preiswerte Energieversorgung versprechen. Müllheizkraftwerke und ihr massiver Ausbau taugen aber nicht zu Lösung unserer Energieprobleme und widersprechen der Notwendigkeit der Ressourcenschonung“, sagt die Umweltexpertin der Grünen Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl, eine der engagiertesten Kämpferin für den behutsamen Umgang mit unseren Ressourcen im Töpferschen Sinn, der als Vater der Kreislaufwirtschaft gilt.

erschienen am: 2009-08-05 im europaticker

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erschienen am: 2008-11-13 im europaticker, gekürzt. Hervorhebungen von uns,